von Gesine Borcherdt, 2010
Irgendetwas stimmt nicht mit Jasmin Schmidts Bildern. Das beinahe fensterlose Spital, die Schwimmer an Bindfäden, das Haus am metertiefen Hang – es scheint, als würde es atmen und flüstern an diesen eigenartigen, mit leichter Hand zarttonig hingeschriebenen Orten. Als wären Gespenster anwesend, die unter den Tuschewelten ganz leise die Fetzen hunderter Lebensgeschichten vor sich hin wispern.
In Jasmin Schmidts Bildern existiert ein Leben zwischen den Zeilen. Angeregt durch Fundstücke und Fotografien, von alltäglichen Situationen und Gegenständen, malt sie auf den Rückseiten alter Schullandkarten und Schautafeln, auf Buchdeckel und Fotografien – und damit auf Bildträgern, die, wie sie sagt, bereits eigene „Erfahrungen gemacht haben“. Fingerabdrücke, Schülerschweiß, Notizen und Flecken – all das erzählt Geschichten, auf denen Jasmin Schmidt ihre eigenen Bildwelten aufbaut. Die Konturen, die von vorne nach hinten hindurch schimmern, sind für sie Bezugspunkte, an denen sie ihre Motive wie von Geisterhand gelenkt entlang hangelt, ohne sich an ihnen festzuklammern. Was daraus entsteht, sind somnambule, surrealistische Malereien, die zwischen René Magritte und Ready Made pendeln – und damit noch einmal die Begegnung mit vergangenen Zeiten heraufbeschwören. Es ist, als schlüge einem aus ihnen ein kalter Hauch entgegen, der sich als leise, bedrohliche Atmosphäre im Raum ausbreitet.
So schiebt sich das halbverhangene Schlagzeug, dessen von Ländergrenzen geäderte Becken haltlos im braunen Bildgrund schweben, dem Betrachter wie ein verblichenes Ahnenporträt entgegen, dem der Drummer längst entstiegen ist. Und das Trüppchen Arbeiter, die in schwefelig-wässrigem Dunst an einem endlosen Zaun entlang marschieren – eingefasst in eine Vignette wirkt es, als käme dieser „Ehrenzug“ direkt aus dem Jenseits; wer weiß, dass auf der Rückseite des Bildträgers das Schaubild eines maschinellen Kreislaufs zu sehen ist, ruft Erinnerungen an Physikstunden und das Innenleben von Fabriken ab.
Wenn Jasmin Schmidt mit alten Dingen und Geschichten spielt, bringt sie sich in Dialog mit den Abwesenden, die an diesen Dingen und Geschichten beteiligt waren. Man könnte fast von einer Materialisation sprechen, durch die sie ihnen einen Platz in der Gegenwart zuweist: Wenn sie etwa fotografische Porträts bemalt, die vor hundert Jahren auf Pappkarton aufgezogen wurden und heute auf Flohmärkten zu finden sind, verhilft sie den Gesichtern von damals zu einer neuen Sichtbarkeit. Ebenso die Fotos der kleinen, eisernen Büsten an einer Reihe Fensterläden in der Regensburger Safferlingstraße: Über hundert Jahre hat die Witterung unterschiedlich auf sie eingewirkt, so dass sie heute individuelle Züge tragen – Jasmin Schmidt hat sie fotografiert und die Abbildungen übermalt, in einem Stammbaum zusammengesetzt und ihnen damit eine neue Identität gegeben.
Malerei ist ein Medium, das wie kein anderes ein sinnliches Spiel mit Farben und Oberflächen, mit der eigenen Geschichte und den Geschichten anderer treibt. Jasmin Schmidt begibt sich darin auf eine Suche nach einer verlorenen Zeit, die auch heute und morgen noch gültig sein könnte. Das, was sie findet, materialisiert sich in neuen Bildwelten, die dieser Zeit zu einer leise atmenden Anwesenheit verhelfen. Irgendwann werden auch sie ein Stück Vergangenheit sein.