Kartographin der Wirklichkeit

von Konstanze Frölich, 2016

Vor einem Bild von Jasmin Schmidt zu stehen bedeutet, sich auf eine gefährliche Ruhe einzulassen. Tatsächlich sind da plane Flächen, bemalt, mit einem oder mehreren abstrakten Motiven, auch in Farbe. Oft ist diese zurückhaltend, gedeckt, oft bietet eine Farbmischung so etwas wie einen Bildhintergrund, auf dem dann geometrische Flächen oder Linien zu sehen sind. Diese Formen auf dem Bildhintergrund dienen dazu, diesen zusammenzuhalten, es kann vorkommen, dass das Material des Bildes tatsächlich aus einzelnen, zusammengefügten Teilen besteht, Stoffstreifen, collagenähnlich zusammengesetzte plane Textilien, die dann durch die Farbe, die Malerei erst zu einem Ganzen werden: Ein großes helles oder dunkles Grau zum Beispiel, darauf Quader, Treppen, Netze aus feinen, pastelligen Streifen mit klarer Kontur.

 

Von der zerteilten Welt unter der fertigen Malerei erzählt das Bild auf den ersten Blick nichts, im Gegenteil: Die Einheit der Fläche mit dem Motiv erscheint klar und ruhig wie das Weltall. So ähnlich kann man es als Betrachter vielleicht auch empfinden: Jasmin Schmidt betritt mit dem Bearbeiten einer Fläche einen Kosmos und versucht, ihn zu erforschen. Sie lässt sich auf das Ungesehene, Unbekannte ein, hat den Mut, mit dem Zufall umzugehen, den die Wirklichkeit für sie bereithält: Sie hält einen Untergrund in den Händen, wie z.B. alte Schullandkarten, einzelne Kartonagen, sie sieht, dass in diesen Stoff bereits Leben eingedrungen ist und versucht, seiner Geschichte zu folgen.

 

Wie eine Forscherin macht sie sich auf die Suche nach dem, was das Material beinhaltet, was von ihm an Wechselwirkung ausgeht. Jasmin Schmidt versucht, den verborgenen Raum zu „be-schreiben“, mit Achtsamkeit sichtbar zu machen. In diesem Prozess passiert etwas Geheimnisvolles: Ihr Bilder sind nicht nur raumgreifend, sondern auch sinn-greifend. Ihre malerischen Welten präsentieren sich klar und still, gleichzeitig geheimnisvoll wie das Geheimnis unserer Existenz, die wir spüren, aber nie ganz verstehen können. An der Quelle dieses fragilen Bewusstseins zu arbeiten, ist wahre Kunst.

Jasmin Schmidt ist daher für ihre Malerei mehrfach mit Kunstpreisen ausgezeichnet worden, sie bringt die Erfahrung der Kulturwissenschaften, die sie auch studiert hat, mit den sinnlichen Fähigkeiten einer bildenden Künstlerin zusammen und schafft es, die komplexe Wirklichkeit in Bilder zu fassen, die erstaunen und beglücken. Die Kartografin dieses neuen Kosmos braucht keine schreienden Farben oder unbeherrschbare Motivik: In der seltsamen Stille ihrer Arbeiten, in den geometrischen Vermessungen einer unsichtbaren, aber spürbaren Welt liegt das Glück, etwas zum allerersten Mal zu sehen.

So gefährlich, so aufregend wie eine Forschungsreise ist dieses Sehen ihrer Kunst. Jasmin Schmidt, die „Entdeckerin“, sagt: „Keine Illusion, sondern das Bild selbst, ist der Ort, auf den es ankommt, ein neuer Ort.“